
Lieber Siegmund,
schon im Gehörlosenpädagogik-Studium warst du ein Lichtblick.
Allein von der Person her. Hattest es wohl nicht nötig, deine
wissenschaftliche Kompetenz unter Beweis zu stellen - die war
ohnehin unumstritten. Vor allem aber von der Sache her. Man kann es
sich heute kaum noch vorstellen, aber vor 25 Jahren war die
deutsche Gehörlosenpädagogik noch finsterstes
Oralismus-Mittelalter.
Da hast du als Außenseiter und Quereinsteiger mit gesundem Menschenverstand erkannt, dass Kommunikation und stabile psychische Entwicklung wichtiger sind als Sprechfertigkeiten. Deine Bücher habe ich verschlungen, nur unterbrochen durch Jubelrufe. ;-)
Zwei Schlagworte von dir werde ich wohl nie vergessen, das "Nadelöhr" und das "sowohl als auch". Wenn das gesamte Wissen durch das oralistische Nadelöhr von Absehen und Sprechen gepresst werden soll, muss zwangsläufig ein Notstand entstehen. Und den vermeintlichen "Methodenstreit" hast du mit dem Hinweis entschärft, es gehe nicht um ein "entweder oder", sondern um ein "sowohl als auch". Sowohl Laut- als auch Gebärdensprache! Bilingualismus war von Anfang an das Ziel.
Als Linguist hast du diesem durch und durch menschlichen Ansatz eine wissenschaftliche Grundlage verschafft, indem du aufgezeigt hast, dass die DGS eine vollwertige Sprache ist - womit du die Voraussetzung für ihre Anerkennung geschaffen hast. Und dann kam der Organisator und Manager Prillwitz zum Einsatz. Was nützt es schließlich, etwas zu wissen, wenn man es nicht in die Tat umsetzen kann? Genau das hast du getan, indem du das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser und den Signum-Verlag ins Leben gerufen und über Jahrzehnte betrieben hast. Auf mein Drängen, wir bräuchten sofort gehörlose Lehrer, hast du damals besänftigend eingewirkt: "Die kommen, warte noch ein paar Jahre!" Recht hast du gehabt! (Aber es dürfen gerne noch einige mehr werden! ;-)
Mag sein, dass du das alles so ganz nebenher gemacht hast, neben deiner eigentlichen akademischen Tätigkeit. Aber was du so nebenher erreicht hast, das ist unschlagbar und unvergleichlich. Wo sollen wir dich einreihen, bei de l'Épée, Heidsiek und Bill Stokoe (allesamt Hörende, die sich vehement für Gehörlose eingesetzt haben)? Mit Sicherheit wirst du in den Geschichtsbüchern der Gehörlosen mindestens den gleichen Rang einnehmen.
Nun hast du dir wahrlich einen stressfreien Ruhestand verdient. So wie wir dich kennen, wird es aber wohl eher ein genüsslicher Un-Ruhestand werden. Kaum vorstellbar, dass du auf deinem Schloss untätig im Ohrensessel (oder besser Gebärdensessel? ;-) versinkst. Gehörlose und Gebärden werden dir sicher auch nach der Pensionierung keine Ruhe lassen. Wir wünschen dir jedenfalls alles Gute für die Zeit nach der Uni.
Bernd & Taubenschlag-Team