
Vor kurzem wandte sich ein Journalist, der für die Zeitschrift
Bild der Frau schreibt, an
mich mit der Bitte, ihm den Kontakt zu einer Familie mit gehörlosen
Eltern und hörenden Kindern zu vermitteln. Ich dachte spontan an
Familie Schäfer in Berlin. Mathias Schäfer zeigte sich interessiert
und nahm Kontakt mit dem Journalisten auf. Nun hat Mathias durchaus
einige Erfahrungen im Umgang mit den Medien, und er hat darauf
bestanden, den Entwurf des Artikels vorab zu sehen und abzusegnen.
Trotzdem erschien dann in Bild der Frau genau die Art von Artikel,
die NICHT erwünscht ist: sensationsgeil und mitleidheischend. Man
sollte eben einen weiten Bogen machen um die Springer-Presse!
Mathias hat eine Gegendarstellung geschrieben (und gebärdet
):
Am 03.01.2014 erweckte „Bild der Frau“ im Artikel „Hut ab vor diesen Kindern“ (Nr. 2, 03.01.2014, Seite 34-35, oberer Teil) durch falsche Tatsachenbehauptungen, die im Folgenden einzeln erläutert werden, den Eindruck, als wären die gehörlosen Eltern voll auf ihre Kinder angewiesen und dass sie ihre eigenen Kinder als Dolmetscher einsetzen würden. Hierzu stellen wir fest, dass der mit uns vorab abgestimmte Artikel so gekürzt und einiges verdreht worden ist, dass bei den Leser*innen dann hieraus ein völlig falscher Eindruck entsteht. Wir fühlen uns als gehörlose Eltern durch diese gezielten und von uns nicht autorisierten Falschinformationen verunglimpft und verletzt.
Wir sind selbstbewusste und selbstständige deutsche Staatsbürger*innen, deren Mutter- und Umgangssprache die Deutsche Gebärdensprache ist. Wir werden als vollwertige und engagierte Mitglieder in der Gehörlosengemeinschaft (ca. 80.000 Gehörlose in Deutschland) und in der Gebärdensprachgemeinschaft mit sehr vielen normal hörenden Menschen angesehen. Indem Sie uns in Ihrem Artikel verunglimpfen, werten Sie damit automatisch alle Gehörlosen in Deutschland ab und sprechen ihnen die Fähigkeit ab, eigenverantwortlich für Familie und Kinder zu sorgen.
Im Folgenden werden die im Artikel aufzufindenden Falschinformationen einzeln aufgeführt und richtiggestellt:
„Sie sorgen dafür, dass ihre Eltern ein normales Leben führen können.“
Hierzu stellen wir fest, dass dieser Satz unwahr ist und nicht den realen Tatsachen entspricht. Dieser Satz unterstellt indirekt auch eine Verletzung der Fürsorgepflicht, denn eigentlich sollten Eltern dafür sorgen, dass die Kinder später eigenverantwortlich und selbstbewusst ein gutes Leben führen können.
„Die Töchter mussten früh Verantwortung übernehmen - und taten es gerne. So jung, so tapfer.“
Wir als Eltern tragen die ganze Zeit die Verantwortung für unsere Kinder, bis sie volljährig sind oder selbstständig ein Leben führen können. Wenn die Kinder früh Verantwortung für ihre Eltern tragen müssten, dann wäre das nach deutschem Recht ein Fall für das Jugendamt, wegen der möglichen Kindeswohlgefährdung.
Die Untertitel im großen Bild „Haben alles im Griff: Aurelia und ihre kleinen Brüder Finn (2) und Samuel (10)“
Hierzu stellen wir fest, dass dabei ein Eindruck entsteht, dass unser Alltag nur dank unserer Kinder zu bewältigen sei. Wie oben schon beschrieben, entspricht dies nicht unserer Lebenswirklichkeit.
„Nicole und Mathias können nicht hören, müssen sich auf die Ohren von Tochter Aurelia und den Söhnen Samuel und Finn verlassen.“
Hierzu stellen wir fest, dass wir das überhaupt nicht müssen. Tatsächlich leben viele Gehörlose ohne Kinder und fahren selbstständig Auto.
„Wir kommunizieren vor allem über Blicke, erklärt Mutter Nicole.“
Hierzu stellen wir fest: Wir deutschen Gehörlosen kommunizieren in Deutscher Gebärdensprache, sie ist eine eigenständige, visuelle Sprache, die in manchen Punkten der deutschen Lautsprache sogar sehr weit überlegen ist. Da werden verschiedene Kommunikationskanäle/-mittel gleichzeitig genutzt, die manuellen und nonmanuellen Zeichen wie Hände, Mimik, Blickrichtung usw.
Die Untertitel im anderen Bild, da wo Aurelia am Telefon für ihren Vater übersetzt: „Das Telefon klingelt, ein Fall für Aurelia, die für ihren Vater übersetzt“
Hierzu stellen wir fest, dass wir unsere Kinder nie als Dolmetscher am Telefon ausnutzen müssen. Wir nutzen die modernen Kommunikationswegen wie SMS, E-Mail, Whatsapp oder webbasierte Ferndolmetschdienste. Das Foto ist nur dadurch entstanden, weil es einen Anruf bei einem Internetanbieter darstellen sollte, der nie auf unsere Kontaktversuche per E-Mail, Brief, Telefondolmetschdienstleistungen usw. reagiert hatte. Das war ein absoluter Ausnahmefall.
Im weiteren, im Kasten, wo der Erziehungsexperte Dr. Jan-Uwe
Rogge Ratschläge und Tipps gibt:
„Gehörlose Eltern können zum Beispiel in einer
Selbsthilfegruppe sein. So merkt das Kind: Die Eltern nehmen ihr
Defizit ernst, sie achten in diesem Punkt auch selbst auf
sich.“
Hierzu stellen wir fest, dass diese Behauptung in unseren
Augen eine pure Beleidigung darstellt. In Wirklichkeit sind wir
Gehörlosen eine sehr engagierte Bewegung, die seit langem für
unsere Rechte, Kultur und Gebärdensprache kämpft. Wir sehen uns als
vollwertige Menschen und leben nicht mit dem ständigen Gedanken an
Defizit. Und da entsteht auch ein Eindruck, dass alle gehörlose
Eltern eigentlich erstmal in Selbsthilfegruppen sein sollten, um
dann halbwegs als Eltern befähigt zu sein. Wir kennen sehr viele
glückliche Familien mit gehörlosen Eltern und hörenden Kindern. Es
gibt sogar viele Organisationen mit Veranstaltungsprogrammen mit
diesen Familien.
Wir werden diesen Experten Dr. Jan-Uwe Rogge auch wegen seines
Expertentipps öffentlich anschreiben.
Wir verlangen laut Presse- und Rundfunkgesetz, dass unsere Gegendarstellung in den kommenden Ausgaben der Zeitschrift „Bild der Frau“ in voller Form abgedruckt werden sollte.
Mit freundlichen Grüßen, die Familie Schäfer