Von Christoph Dieffenbacher
Fotos Dominique Meienberg
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"Die junge Tennisspielerin hat viel Erfolg und macht eine steile Karriere": ein Satz in Deutschschweizer Gebärdensprache, gezeigt von Claudia Jauch. |
In einem engen Büroraum in Zürich Oerlikon besprechen Jovita Lengen, Claudia Jauch, Gian-Reto Janki und Brigitte Vogel zusammen mit den anderen ein Detailproblem. Es geht darum, wann die Videoaufnahmen der Beispielsätze an die Dolmetscher gehen sollen. Das Gespräch verläuft äusserst lebhaft, Fragen, Antworten, Vorschläge und neue Ideen lösen einander rasant ab. Doch um die Diskussion zu verstehen, ist der Besucher auf eine Dolmetscherin angewiesen: Die gehörlosen jungen Leute unterhalten sich in der Gebärdensprache. Ihre Arme und Hände bewegen sich rasch, auch ihre Gesichtsausdrücke, Münder und Blicke verändern sich in schneller Abfolge.
Die vier gehören zum Team der Datenbank für die Deutschschweizerische Gebärdensprache, die vorerst bis zum Sommer 1500 verschiedene Gebärden lexikalisch erfassen und erläutern wird. Die Datensammlung, unterstützt vom Nationalfonds und formell beim Heilpädagogischen Seminar Zürich angegliedert, basiert auf einer komplexen Multimedia-Technologie und ist zweisprachig (Gebärdensprache/Deutsch). So wird es möglich, ein deutsches Wort in Gebärdensprache zu übersetzen, aber auch, für eine Gebärde die Entsprechung in der gesprochenen Sprache zu finden.
Daten auf Internet und CD-ROM
In der Schweiz gibt es rund 8000 bis 10 000 eigentliche
Gehörlose, meist Personen, die von Geburt an hörgeschädigt
sind oder ihr Gehör früh verloren haben. Dazu kommen etwa 500
000 Schwerhörige. "Unsere Arbeit soll so schnell wie möglich
allen Interessierten zugute kommen", sagt die Leiterin des Datenbank-Projekts,
die Psycholinguistin Penny Boyes Braem. Gedacht wird an eine Verbreitung
über Internet und in Form einer CD-ROM.
Für die technische Seite der Datenbank ist der ETH-Naturwissenschafter und ausgebildete Gebärdensprach-Dolmetscher Christian Lukasczyk besorgt. Unter anderem wartet er die Computer- und Videoausrüstung und passt das Programm an die Bedürfnisse der Forschenden an. Von der Gebärdensprache, die der Nichtgehörlose vor ein paar Jahren privat kennen gelernt hat, war er so beeindruckt, dass er sich nach seiner Dissertation ganz dem neuen Gebiet widmete.
Fünf Deutschschweizer Dialekte
Eine wissenschaftlich fundierte und trotzdem
praxisnahe Datensammlung für Gehörlose war alles andere als einfach.
Denn es gibt keine international einheitliche Gebärdensprache. Allein
in der Deutschschweiz werden fünf verschiedene Dialekte verwendet
(Basel, Bern, Luzern, St. Gallen und Zürich), die allerdings, so Boyes
Braem, zu rund 75 Prozent identisch sind. Daneben gibt es weitere Unterschiede:
Einige Gebärden werden nur von älteren Gehörlosen gebraucht,
andere nur von jüngeren, Frauen benutzen teils unterschiedliche Gebärden
als Männer, und wichtig für eine bestimmte Gebärde ist immer
auch die Gesprächssituation.
Als Erstes stellten Gehörlose, zum Teil als Freiwillige, für die Datenbank grössere Sachgebiete zusammen, etwa die Bereiche Sport, Medizin oder Schule. Dann sammelten sie Gebärden dazu, worauf jede einzelne analysiert, in geschriebenes Deutsch übersetzt, auf bewegten Videobildern festgehalten und gezeichnet wurde. Zu jeder einzelnen Gebärde werden in der Datenbank fünf Grundinformationen abrufbar sein: Form, Bedeutung, Gebrauch, Herkunft und Satzbeispiele in Videoclips.
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Für viele Gehörlose ist die Gebärdensprache ein selbstverständliches Kommunikationsmittel: Gian-Reto Janki vom Datenbank-Team. |
Internationale Kontakte
"Für unser Projekt stehen wir in intensivem
Austausch mit anderen Forschungszentren in der ganzen Welt", sagt Boyes
Braem. Zum Beispiel mit der Universität Hamburg, die bereits ein ähnliches
Vorhaben in Multimedia-Technik realisiert hat. Daneben setzt sie sich dafür
ein, dass die Gebärdensprache weiter wissenschaftlich erforscht wird.
Ihr heutiger Status in der Schweiz, meint Boyes Braem, sei etwa mit jenem
des Rätoromanischen als Minderheitensprache vergleichbar
- das jedoch als Amtssprache anerkannt wird. Neun von zehn gehörlos geborenen Kindern haben hörende Eltern. Heute erhalten viele dieser Kinder ein Implantat, das ihr Hörvermögen auf das von stark Schwerhörigen verbessert. Hörende Fachleute plädieren deshalb dafür, bei diesen Kindern auf das Lehren der Gebärdensprache bewusst zu verzichten - sie könnten diese später ja immer noch lernen. Dagegen haben Studien gezeigt, dass nicht nur für die Lautsprache, sondern auch für die Gebärdensprache gilt: Je früher man sie lernt, desto besser beherrscht man sie.
Nicht nur für Jovita, Claudia, Gian-Reto und Brigitte ist die Sprache der Gebärden ein selbstverständliches Kommunikationsmittel. Auch bei der übrigen Bevölkerung hat das Interesse an der Ausdruckskraft und der Eleganz der Gebärdensprache seit einigen Jahren zugenommen: Allein in der Deutschschweiz haben sie bisher mindestens 5000 Hörende gelernt, und es gibt lange Wartelisten für Sprach- und Dolmetscherkurse.
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