aus der Zeitschrift:
Horizonte, März 1999 - Psycholinguistik
des Schweizerischen Nationalfonds
 

"Die Gebärdensprache wird kommen"

Dr. Penny Boyes Braem, Leiterin der Gebärdensprach-Datenbank, ist Psycholinguistin, stammt aus den USA und lebt seit 25 Jahren in der Schweiz. In Basel hat sie 1982 ein privates Forschungszentrum für Gebärdensprache gegründet.

 

HORIZONTE: Sie beschäftigen sich als eine von wenigen in der Schweiz seit Jahren wissenschaftlich mit der Gebärdensprache. Wie sind Sie persönlich, als Hörende, eigentlich auf dieses Gebiet gekommen?
Penny Boyes Braem: Ich hatte in den USA zuerst Geschichte, dann Linguistik und Pädagogik studiert. Per Zufall kam ich eines Tages in Kontakt mit Gehörlosen: In der Nähe meines Elternhauses schaute ich mir eine Gehörlosenschule an und war von den Gebärden sofort fasziniert - ich hatte zuvor noch nie in meinem Leben Gehörlose gesehen. Der Rektor fragte mich, ob ich am nächsten Tag Englischunterricht geben könnte, und ich sagte spontan zu. Natürlich lernte ich damals viel mehr Gebärdensprache als die Kinder Englisch... Später habe ich dieses Gebiet zu meinem Forschungsgegenstand gemacht.

In Europa ist die Gebärdensprache erst lange nach den USA zu einem Thema für Wissenschaft und Gesellschaft geworden. Wie ist das Projekt einer Gebärdensprach-Datenbank für die Deutschschweiz überhaupt entstanden?
Als ich in die Schweiz kam, hiess es - von Hörenden notabene -, die Gehörlosen hier würden keine Gebärdensprache brauchen. Direkte Kontakte mit Betroffenen belehrten mich aber schnell eines anderen. Ich wurde vom Schweizerischen Gehörlosenbund angefragt, ein Nachschlagewerk der Deutschschweizer Gebärdensprache auf die Beine zu stellen - und daraus entwickelte sich dann das jetzige Datenbank-Projekt.

Nun hat sich die Gebärdensprache hier zu Lande, etwa in den Schulen, noch immer nicht überall durchgesetzt. Wozu braucht es eine zweisprachige Datenbank?
Ich bin überzeugt, dass sie vor allem für die heutigen und zukünftigen Gebärdensprachbenutzer ein nützliches Instrument sein wird. Aber auch die vielen Hörenden, die privat oder beruflich mit der Gebärdensprache zu tun haben, können die Datenbank benutzen: Eltern, Angehörige und Lehrer von gehörlosen Kindern, Dolmetscher, Leute in medizinischen und sozialen Berufen, Kirchen usw. Es gibt zwar ein Buch mit Illustrationen zu den wichtigsten Gebärden für die Deutschschweiz, aber es liefert nicht die nötigen detaillierten Informationen, wie sie nun möglich werden. Natürlich wird auch die Forschung von der Datenbank profitieren.

Das schweizerische Parlament nahm vor fünf Jahren ein Postulat an, das sich für die Anerkennung der Gebärdensprache bei Gehörlosen und hörbehinderten Menschen einsetzt. Sind das nur leere Worte, oder sind konkrete Taten zu erwarten?
Im Moment ist einiges im Gang. Kürzlich wurden an einem Kongress in Bern Möglichkeiten diskutiert, die Gebärdensprache in Gesellschaft, Forschung, Erziehung und Medien besser zu verankern. Zum Beispiel hat man angefangen, mehr Dolmetscher auszubilden, aber der empfindliche Mangel an solchen ist noch längst nicht behoben. Mittels Dolmetschern könnten Gehörlose einfacher am öffentlichen Leben und an höheren Ausbildungen teilnehmen. Doch die Gebärdensprache wird kommen - es braucht nur Zeit dazu.