uni Mittwoch, 2. September 1998
 

Schwerhöriger Moby Dick

Starker Schiffsverkehr macht Pottwale taub - Forscher arbeiten an einem Warnsystem für die großen Meeressäuger

Von Ulrich Karlowski

Die Ozeane sind nicht mehr still. Ständig dröhnen und hämmern Schiffsmotoren und Bohrinseln. Militärische Unterwassersprengungen krachen gnadenlos. Gleichzeitig häufen sich Meldungen über Strandungen von Delphinen und Walen. Über einen Zusammenhang zwischen Unterwasserlärm und möglichen Schäden bei den sich akustisch orientierenden Meeressäugern streiten Forscher jedoch heftig. Einen derartigen Nachweis glaubt der Biologe Dr. Michel André (Universität Las Palmas de Gran Canaria) bei Beschallungsversuchen von Pottwalen entdeckt zu haben: Diese Tiere, die im Gebiet der Kanarischen Inseln leben, haben durch starken Schiffsverkehr bedingte Hörschäden und stoßen häufig mit Schiffen zusammen.

Etwa 100 Schiffe bewegen sich täglich zwischen den Häfen Santa Cruz und Las Palmas. Diese Gewässer sind aber auch der Lebensraum vieler Wal- und Delphinarten, insbesondere der Pottwale. Aufgrund ihrer Größe und ihres ungewöhnlichen Tauchverhaltens sind sie eine Bedrohung für die Schiffahrt. Diese größte Zahnwalart taucht nach Ausflügen in über 3000 Meter Tiefe und bis zu 90 Minuten Dauer unvermittelt auf, um dann fast regungslos für 5 bis 15 Minuten an der Oberfläche zu verharren - ein für Schiffsbesatzungen kaum sichtbares, bis über 50 Tonnen schweres und 20 Meter langes Hindernis.

Um die Wale vor Zusammenstößen zu warnen, arbeiten Forscher an einem fest an den Fähren installierten Signalsystem. So beschallte ein Team um Michel André über Unterwasserlautsprecher Pottwale mit sechs Geräuschen und registrierte die Reaktionen. Es wurden natürliche Laute und Geräusche wie die Stimmen von Schwertwalen - neben Riesenkalmaren und Piratenwalfängern die einzigen natürlichen Feinde von «Moby Dick» - oder Schiffsmotorengeräusche sowie künstliche Töne wie ein 10kHz-Impuls eingesetzt. Alle Signale lagen im Frequenzbereich des Hörvermögens von Pottwalen (0,2 bis 32 kHz). Insgesamt 57 Tiere wurden aus einem Abstand von etwa 100 Metern zehn Sekunden lang mit etwa 180 Dezibel (dB) Lautstärke beschallt. Zum Vergleich: Ein Preßlufthammer nervt mit etwa 100 dB, ein Düsenjet mit 140 dB.

Bei den Versuchen wurde der Pottwal-Lebensrhythmus berücksichtigt. In jedem dieser drei Zyklen spielte man die Signale nacheinander ab. Obwohl die akustischen Überfälle für die Tiere sehr laut gewesen sein müssen, löste lediglich der 10kHz-Impuls bei rastenden Walen eine Fluchtreaktion aus. «Von den anderen Signalen ließen sie sich nicht stören, und während der Schwimmphasen zeigten sie auch auf den 10kHz-Impuls keine Reaktion», stellte Michel André verblüfft fest. Aber die Hoffnung auf das wenigstens teilweise wirksame Signal zerschlug sich nach weiteren Versuchen. Spielte man den 10kHz-Impuls den gleichen Tieren ein zweites Mal vor, ignorierten sie es.

Diese Ergebnisse machen nach Meinung von Michel André deutlich, welche Toleranz die bei den Kanarischen Inseln heimischen Pottwale gegenüber Störgeräuschen entwickelt haben. Der durch Schiffsmotoren und -propeller erzeugte ständige Lärmpegel könnte dazu geführt haben, daß ihr Hörvermögen besonders im Niederfrequenzbereich an Sensibilität eingebüßt hat. Hochgeschwindigkeitsfähren würden demnach zu spät von ihnen wahrgenommen. Die Suche nach einem effektiven Warnsystem, das Pottwalen weder zusätzlich schadet, sie aber auch nicht gänzlich aus dem Meeresgebiet vertreibt, geht jetzt zwar weiter, gestaltet sich aber komplizierter als angenommen.

Eine kleine, informative Einführung in Anatomie, Lebensraum und Sozialstruktur des "Physeter macrocephalus" macht Sie mit dem Wesen des Meeresriesen bekannt. 

Greenpeace informiert über das Schicksal der Wale, ihre Vorfahren und ihre Bedrohung durch veränderte Umweltbedingungen. 

Aufmerksamkeit erregen Wale immer wieder, wenn sie einzeln oder in Gruppen in der Nordsee stranden. Über die Gründe, die zur Desorientierung mit meist tödlichem Ausgang führen, herrscht immer noch Unklarheit. Verschiedene Theorien werden als Erklärung angeführt. Greenpeace bietet zu diesem Thema ebenfalls Informationen, unter anderem eine Chronik der Pottwalstrandungen

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