KBW
- kotz! brech! würg! -

ehemaliger Schüler, spätertaubt

ein ehemaliger Schüler (spätertaubt) :
(Zitate aus einer email)

Nun aber mal kurz zu mir, vergaß fast, Dich mit meiner Wenigkeit bekannt zu machen, ist doch eh logo, daß Du wissen willst, mit wem Du es zu tun hast. Im besten Mannesalter von 4 Jahren machte eine Meningitis meinen Gehörnerven den Garaus. Die Zeit danach wurde dazu verwendet, diverse News in meinen Gehörgang hineinzubrüllen, wobei die Ohrwascheln an manchen Tagen Jumboähnliche Formen annahmen, da man wegen der besseren Beschallung ständig daran zog. Als späte Erkenntnis und ein besonderes Glück empfand ich den Umstand, statt zur Taubstummenanstalt in München zur Schwerhörigenschule gehen zu dürfen, da ein Taubstummenoberlehrer der Meinung war, ich spreche zu gut und meine "Regierung" sollte es mal mit der Schwerhörigenschule versuchen. Man könne mich ja immer noch zur Taubstummenanstalt schicken, wenn ich woanders nicht klarkomme. Dem Mann bin ich auf ewig dankbar. Die ersten 17 Jahre meines Lebens verbrachte ich unter Hörenden, d.h. ich tat vielmehr so, als ob ich alles verstehen würde (ein schlimmer Fehler) und dann bloß um keinen Preis mit meiner Behinderung auffallen (ein noch schlimmerer Fehler). Eines Tages lernte ich ein paar gl Mädchen beim Schlittschuhlaufen kennen und die nahmen mich zu einer großen Gl-Veranstaltung mit. Dort fühlte ich mich komischerweise so richtig sauwohl und beschloß, den Rest meines bis jetzt kümmerlichen Daseins fortan bei meinen Schicksalsgenossen zu verbringen, was ich bis heute als die beste Entscheidung meines Lebens ansehen darf. Ich bereue bisher keine einzige Minute in diesen Kreisen. Die Gebärdensprache lernte ich perfekt, die Mentalität und die Kultur der Hörbehinderten wurde mir ein vertrautes Milieu und viele Gl wurden und sind immer noch meine besten Freunde. Daß ich dabei nicht immer "Everybodys darling" war, ist ja ziemlich oft vorgekommen und eigentlich stinknormal. Harsche Kritik hagelte es von mir auf die Gl-Schulen und den Lehrern herab, die dafür verantwortlich waren, daß reihenweise praktische Analphabeten die Schulen verließen. Man kann das herrschende Schulsystem dafür verantwortlich machen, daß sich Lehrpläne gegen die Bedürfnisse der Hörbehinderten richten, aber bitte, wer verzapft den diese Lehrpläne? Kein einziger Betroffener wurde je gefragt, was für ihn gut sei. Daß sich selbst die Herren Direktoren zu Gegnern der Gebärdensprache machten, sagt ja alles, da können sie ebensogut Blinde zum sehen zwingen. Es werden ja praktisch, von seltenen Ausnahmen abgesehen, keine gehörlosen Kollegen geduldet, da sich der Grad der Beliebtheit bei den gl Schülern eindeutig zugunsten der Hörbehinderten Kollegen verschieben würde. Wir sind Entwicklungsland was den Wissenstand der Gl anbetrifft, hinterster Busch, 4. Trommel, 2. Palmwedel...bitteschön. Aber so langsam lichtet sich der Urwald und allmählich dämmert dem engstirnigsten Pädagogen, daß sie an der Realität vorbei unterrichtet haben. Sie hätten all die Jahre genauso gut eine imaginäre Wand mit Ihren pädagogischen Weißheiten beglücken können. Ich muß Dir nicht erzählen, lieber Bernd, wie destruktiv das wertvolle Geistesleben der Gl zuschanden gemacht wurde. Oberlehrergehabe, tiefste Bevormundungsstruktur und provinzialistisches Grunddenken beeinflußten auch entscheidend die Abneigung gegen elektronische Medien. In meiner Freizeit gebe ich Gebärdenkurse für Eltern von gl Kindern, StudentenInnen der Sozialpädagogie und Bezugspersonen von Gl. Das macht mir Spaß und gleichzeitig lasse ich gebärdensprachliche Kompetenz, soziologische Aspekte und kulturelles Leben der Gl mit in den Unterricht einfließen. Kurzum, ich bin aktiv daran beteiligt, daß sich künftige Generationen von Gl in einem hochentwickelten, gebärdensprachlichen Schulungsniveau wiederfinden werden, zumindest hoffe ich das. Für die vielen GebärdenkursleiterInnen steht noch viel Arbeit vor der Türe, packen wir´s an!

Albert Schmidt